Die nächste Phase

Wir ziehen nach Frankreich

Was wir bisher noch nicht erlebt hatten

Dinge gibt's, die gibt's gar nicht. Glaubt ihr nicht? Dann lest doch bitte einmal die folgende Geschichte.

Es war Morgen, der Freitagmorgen. Auf dem Programm stand heute, dass wir morgens bei Marie-Annick frühstücken würden. Danach müssten wir den LKW betanken. Am besten bei Intermarché, dort ist es nicht kompliziert. Dann würden wir uns auf den Weg nach Plusquellec machen, um 12:00 h dort ankommen, den LKW abladen und den kompletten Hausrat in den Hangar stellen und dann rechtzeitig wieder nach Redon zurück fahren. Martine und Marie-Annick hatten auf meinen Wunsch einen schönen großen Tisch um 18:30 h für 10 Personen in einer Pizzeria reserviert. Check.

Morgens war bei unseren lieben Helfern erst einmal Knochen sammeln angesagt. Man schläft halt doch nicht mehr so oft in einem Zelt. Dieser Vorgang zog sich dann inklusive einer schönen warmen Dusche mehr in die Länge als ursprünglich vorgesehen. Zeit verblieb dennoch ausreichend, denn unser Ziel war es ja zwischen 12:00 h und 13:00 h mit dem Ausladen zu beginnen.

Der Weg vom Campingplatz zu Marie-Annick und Bernard ist in fünf Minuten zu bewältigen. Viel länger hat es auch nicht gedauert. Das Frühstück war eine Eheschliessung aus französischem und deutschem Frühstück. Unsere Freunde waren oft genug in Deutschland um den Unterschied zwischen den Kulturen in dieser Hinsicht zu kennen. Das traditionelle Frühstück besteht in Frankreich aus Kaffee, Tee oder Kakao als Getränk, Baguette und Marmelade oder Konfitüre. Gelegentlich, vor allem in Hotels, bekam man auch schon einmal Butter, Käse und Wurst dazu. Die Zeiten haben sich geändert. In französischen Hotels geht es auch schon sehr viel europäischer zu als vor einer Dekade. Bei unseren Freunden stellte sich das Frühstück eben vielseitiger und europäischer vor. Das gefiel auf jedem Fall unserem Frankreich Novizen Stefan. Es war sein erster bewußter Aufenthalt in Frankreich. In einen französischen Haushalt hinein zu schnuppern ist dann noch einmal was ganz anderes. Die Häuser sind anders, die Inneneinrichtungen sind anders. Klar, man sitzt auf Stühlen und ißt an einem Tisch. Es sieht dennoch alles anders aus.

Ist es auch, denn der französische Geschmack hinsichtlich z.B. der Einrichtung eines Hauses birgt ein ganz besonderes Flair. Für mich ist alles geschmackvoll farbenfroher und oft auch blumiger. Ich mag das. Es ist total gemütlich. Natürlich fand ich unsere deutschen Einrichtungen auch geschmackvoll. Gegenüber dem französischen Geschmack muss man es aber eher als steril betrachten. "Chaqun a son goût" ("jeder hat seinen Geschmack" oder eben "Jedem das Seine").

Franzosen essen morgens auch generell nicht viel. So etwas kann ich ja gar nicht. Ich brauche was zwischen die Kiemen. Darum bin ich beim Frühstück grundsätzlich der Letzte, der den Tisch verlässt. Insofern gab es sicher den einen oder anderen, der ungeduldig gewartet hat, dass es endlich los ging. Irgendwann bin ich dann auch fertig.

Bevor wir uns auf den Weg nach Plusquellec machen konnten mussten wir ja noch zu Intermarché. Roland und Stefan schwangen sich auf ihren Bock, der in ca. 150 m Entfernung vorne an der D (Départementale) auf uns warten musste, weil er zum Frühstück nicht mit rein durfte und wegen seiner Ausmaße auch nicht rein konnte. Die D war aber breit genug. In kurzer Zeit waren wir an der Tanke. Die folgenden Geschehnisse spare ich aus, denn dazu wird es auch eine andere Perspektive geben, als ich sie hatte. Lesenswert …. wird sie allemal sein. Zur Erinnerung die erste Episode spielte sich in der Berliner Str. in Wachtendonk ab. Die nächste Episode nun bei Intermarché.

Ich fahre nun einfach mit meiner Schilderung fort. Die kürzeste Strecke führte quer durch die Bretagne von Süd-Ost Richtung Nord-West und obwohl es nur knapp 160 km waren würde unsere Fahrt über zwei Stunden dauern. Auf französischen Autobahnen (A wie Autoroute) gilt weitestgehend die Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h. Auf den N (wie Nationale) darf man noch 110 km/h schnell sein. Und 90 km/h beträgt die Höchstgeschwindigkeit auf einer D (Départementale). Ein LKW ist in der Geschwindigkeit werksmäßig bereits auf 90 km/h begrenzt. Dennoch versuchen manche LKW Fahrer das Letzte aus ihren Brummis raus zu kitzeln. Unser Weg, … so einmal quer durch die Bretagne, führte ohnehin nicht über ausschließlich gerade Wege. Außerdem muss man sich die Bretagne, je weiter man hineinfährt wie die kleine Schwester des Sauerlandes oder der Eifel vorstellen. Es geht rauf und runter und das nicht selten in Serpentinen.

https://de-de.topographic-map.com/map-92qm2/Bretagne/?center=46.90525%2C-4.28467&zoom=6

Irgendwann nach 13:00 h waren wir dann aber angekommen. Und erlebten unser blaues Wunder. Der Vorbesitzer hatte uns Fotos vom Feldweg zum Hangar gesendet. Allerdings hatte er seine Fotos immer aus einer Position aufgenommen, die auf den Fotos eine Gerade erkennen ließ. Dummerweise standen wir nun dort vor Ort und sahen uns zwei unüberwindbarer Kurven gegenüber. Eine fast in einem 90 Grad Winkel. Völlig unmöglich mit einem 12 Tonner dort hoch zu fahren. Unser Problem war eng, kurvig und steil. Nun plötzlich, nachdem ich dem Vorbesitzer Angaben über unseren LKW sogar mit Fotodokumentation und Maßen gesendet hatte, gab er sich als früherer LKW Fahrer zu erkennen und schätzte die Situation als "nicht machbar" ein. Vermutlich hat er ein seiner aktiven Arbeitszeit so einen Milchwagen gefahren wie wir sie aus den Miss Marple Filmen oder dem Bond Film kennen. So, wie er da nun stand, erschien er ein wenig hilf- und ahnungslos!

Es dauerte mehr als eine halbe Stunde, in der wir sogar erwogen das ganze Unternehmen abzubrechen und wieder zurück zu fahren, bis das unser ehemaliger Milchkutscher erzählte und vorschlug von oben an den Hänger heran zu fahren. Von oben? Wir schauten hoch, sahen aber nur Wolken. Was er meinte war, dass man über die D28 nach einer Fahrt von vielleicht drei Kilometern zu einem Feldweg gelangen würde, über den man den Hangar erreicht. Da wir ohnehin keine Wahl hatten und er sich bereit erklärte mit Roland mitzufahren und ihm den Weg zu zeigen, nahmen wir das Angebot dankend an.

Wir verloren wertvolle Zeit. Nervös, ziemlich angefressen, tigerten wir von Hangar zum Feldweg und wieder zurück bis endlich das Geräusch zu hören und später auch der LKW zu sehen war. Wir Wartenden hatten ja keine Ahnung, wie lange diese Fahrt dauern würde waren nun aber froh, dass der LKW da war und wir mit dem Abladen beginnen konnten.

Hätten wir den Platz im Hangar nicht zur Lagerung benötigt, hätte man mit dem LKW rückwärts reinfahren können. Wir hatten keine Vorstellung davon, wie viel Platz wir brauchen würden, wenn der Wagen am Ende völlig abgeladen war.

Anfangs ging alles sehr flott. Die beiden Fahrer und Beifahrer auf dem LKW brachten die Sachen auf die Rampe, die etwas heruntergefahren war und wir anderen vier nahmen alles entgegen und brachten es auf Anweisung von Maelle an irgendeine Stelle. Wein rechts, Möbel hinten rechts, die Couchen da in der Mitte, die Matratzen auch …. Und so weiter. Erste Zweifel kamen auf, ob wir wohl rechtzeitig zum Essen auch wieder in Redon sein würden. Na klar, sagte ich und war mir absolut sicher, dass der LKW um spätesten 17:00 h leer sei.

Was soll ich euch sagen? Er war kurz nach 17:00 h leer. Alles im grünen Bereich. Und obwohl wir nach meiner Berechnung nur eine kleine Verspätung von 10 oder 15 Minuten haben würden, rief ich in Redon an um den Freunden mitzuteilen, dass wir wohl mit einer kleinen Verspätung erst eintreffen würden. Wir seien aber fertig und würden nun losfahren. Ich würde mich von der Strecke noch einmal melden und wir würden über die Nationalstrasse fahren, weil es mit eingehender Dunkelheit doch angenehmer zu fahren sei.

Der LKW wurde gestartet und fuhr langsam los. Es hatte in der Zwischenzeit einen dauerhaften Landregen gegeben und die Wiese war nun sehr glitschig. Aber Roland steuerte das Fahrzeug mit Bravour von der Wiese, durchquerte das Tor, bog nach rechts ab, wo es dreißig bis vierzig Meter bergan ging und steckte plötzlich im Moder fest. Egal wieviele Tonnen der LKW nun noch auf die Wage brachte, dieses Gewicht drückte ihn bei jeder Vorwärtsbewegung immer tiefer in den Modder. Nichts ging mehr. Der LKW saß hoffnungslos fest. Nun war guter Rat teuer. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber dazu kommen wir später.

Alle Versuche und guten Ideen den LKW wieder frei zu bekommen liefen ins Leere. Die Spurrillen wurden immer tiefer. Jeder der ein Telefon hatte, telefonierte mit jemandem der möglicherweise einen Rat hätte geben können. Ich telefonierte mit Redon um mitzuteilen, dass es wohl doch erheblich viel später werden würde, weil wir wegen des plötzlich völlig verschlammten Boden nicht mehr raus kämen. Tja, Bernard, was fällt dir nun Guten ein. Bernard überlegte, wie ein englischer Milchfahrer so überlegt und brachte dann das Wort "Traktor" heraus. Man müsste einen Bauern fragen. Wo Bernard, wo? Wollte ich wissen. Es gab nur einen! Klar Highländer… Es kann nur einen geben. Und der hatte seinen Hof am Ende dieses Feldweges. Dort, wo der Feldweg auf die Landstraße stösst. Ich also zum Auto. Stefan begleitete mich. Ich fuhr recht zügig weil mir nun mehrere Menschen unzufrieden zu werden drohten. Die Freunde in Redon und alle Mitreisenden in Plusquellec. Der Einzige, den das alles nur ganz am Rande berührte war … Bernard (englische Sprechweise).

Am Horizont unserer Reise angekommen sahen wir mehrere Häuser. Alle immer auch verdeckt durch Baumbestand. Und davon gibt es hier in der Bretagne reichlich. Normal total schön, wenn du aber dringend einen Bauern suchst, ist das etwas hinderlich. Am Ende des ersten abführenden Weges ein schönes großes bretonisches Haus aber kein aktiver Bauernhof. Aber da, auf der gegenüberliegenden Seite, eine große Scheune oder ein großer Stall. Ich fuhr in den Weg rein, der nicht mit glitschig und moderig war, und sorgte mich darum selber mit meinem Volvo stecken zu bleiben. Bei einem LKW hat man zumindest noch die Bodenfreiheit. Mit einem PKW und einem Spurrillen gezeichneten Weg ist die Chance stecken zu bleiben riesig groß.

Bis zur Scheune schafften wir es. Ich stieg aus, lief rum, versuchte mehrere Türen, sah aber keine Menschenseele. Nur Kühe. Dicke Kühe. Milchkühe. Ich stieg wieder ein und fuhr zu einem anderen Stall mit angeschlossenem Wohngebäude. Da, ein Eingang. Auto auf, schnellen Schrittes dorthin und geklingelt. Nichts. Niemand rührte sich. Wieder zum Auto zurück. Ups, da ist ja noch eine Haustür. Vielleicht wohnt der Bauer ja dort? Wieder raus, hin zur Tür und geklingelt. Plötzlich machte jemand auf und ich begann meine Geschichte zu erzählen. Und nachdem ich fertig war, erzählte mir der Mann in der Haustüre im englischsten Englisch, dass er nicht der Bauer sei. Er wohne nebenan. Und wenn er nicht da wäre, dann solle ich im Stall nachsehen. Nun wäre die Zeit des Melkens und Fütterns.

Wieder rein ins Auto und wieder durch den Matsch zum Stall. Stefan und ich, wir konnten uns trotz der Brisanz dieser Situation das Lachen nicht verkneifen und machten witzige Sprüche zu unserer Situation. Zumindest war da ein Hoffnungsschimmer. Noch nie haben wir uns so sehr nach einem menschlichen Kontakt zu einem französischen Landwirt gesehnt. Und wir hatten Glück, denn er war nicht an der aktuellen Folge von Bauer sucht Frau auf RTL beteiligt und guckte, nachdem ich mich noch einmal lautstark bemerkbar gemacht hatte plötzlich zwischen seinen Kühen hoch. Und dann stand er vor uns. Ich erzählte ihm unsere Geschichte und fragte, ob er uns helfen könne und den LKW aus dem Schlamm ziehen könne? Er so: "Wann?" Ich: "Wenn es ginge, dann nun!" Er so: "Nein, er müsse sich um seine Kühe kümmern! Die müssten gemolken und gefüttert werden!" "Und danach?" Fragte ich ihn schon ziemlich kleinlaut und mit weinerlichem Unterton um sein Herz zu erweichen. "Das könne er tun, das würde aber noch eine Stunde dauern! Und er würde es nicht gratis machen!" Ich: "Wieviel?" Er:"50 Euro!"

Ich musste nicht lange überlegen. Auch wenn er nun 100, 150 oder 200 € gesagt hätte. Es hätte keine Option gegeben. Ich sagte zu und wir schlugen ein. So, wie man das bei einem Kuhhandel eben macht. Ein Mann, ein Wort. Ein Bauer, 50 €!! "Aber", sagte er "Ihr müsst warten, bis ich meine Kühe versorgt habe. Tja, uns blieb nichts anderes übrig, als zu warten.

Und ihr müsst nun auch warten. Bis morgen Abend, denn ich bin nun wieder hundemüde und die Uhr hat schon vor geraumer Zeit Mitternacht geschlagen.

Also, wir lesen uns morgen.