Die nächste Phase

Wir ziehen nach Frankreich

Mehr Schein als Sein

Auf dem Weg nach Frankreich hatte unser Bordtelefon geklingelt. Es war Martine gewesen, der ich hin und wieder Nachrichten über unseren aktuellen Standort gesendet hatte. Nach der wie immer herzlichen Begrüßung kam sie flott zur Sache. Wir wurden zum Mittagessen eingeladen. Vor der ersten Besichtigung. Und sie würde natürlich mit uns mitfahren und Marie-Annick und Bernard auch. Da konnte ja nun gar nichts mehr schiefgehen. Vor der Besichtigung essen und dann mit einheimischen Beratern die erste Putze ansehen.

Um ca. 10:30 h erreichen wir dann nach doch anstrengender Reise unseren Campingplatz. Noch eineinhalb Stunden bis zu Mittagessen bei Martine. Das Tor zum Camping wird mir von einer freundlich lächelnden Mittdreißigerin geöffnet. Ich fahre das Gespann rein und steige aus um zu dem kleinen "Gartenhaus", der Rezeption zu laufen. Dort sitzt ein sehr kurz behaarter Mann - noch viel kürzer behaart als ich - hinter seinem Glasverschlag. Er schaut hoch, grinst mich an und begrüßt mich als kennen wir uns schon seit Jahren. Tun wir nicht aber das macht ihn mir direkt sympathisch, weil ich selber ja auch so ein direkt kumpelhafter Typ bin. Dann wird er sachlich und sagt, dass ich meinen gebuchten Aufenthalt direkt oder später bezahlen könne, wenn ich möchte. Da unser Aufenthalt zeitlich begrenzt war und wir definitiv nicht später abreisen würden und gleichzeitig wegen der ganzen Besichtigungstermine aber auch nicht vorher abreisen konnten, wollte ich sofort bezahlen.

Das Erstellen der Rechnung hat zwar nicht sehr lange gedauert, kostete uns dann aber letztendlich doch wertvolle Zeit, die wir ja bis zum verabredeten Mittagessen bei Martine gar nicht hatten. 122,00 € kostete unser Aufenthalt für die neun Nächte inklusive des Stellplatzes, unseres Volvo am Platz, uns beiden erwachsenen Reisenden und unserer beiden Hunde. Günstiger kannste keinen Urlaub verbringen, dachte ich.

Na, ja …. Urlaub …. ist ja in der Regel mit Erholung verbunden. Die sollte uns nun erst einmal verwehrt bleiben. Ich rangierte unsere Comtesse, die wir auf den Namen Bécassine getauft hatten (eine bretonische Komikfigur, die jedoch etwas dümmlich rüber kommt und von den Bretonen deshalb nicht sonderlich gemocht wird) auf einen Stellplatz, der von meiner Gattin, einer bis zum letzten Jahr noch völlig unerfahrenen Camperin, ausgewählt worden war und wir begannen umgehend mit dem Aufbau des Vorzeltes.

Bécassine:
https://fr.wikipedia.org/wiki/Bécassine_(bande_dessinée)

Vermutlich habt ihr euch gerade bei der Beschreibung gedacht, dass wir den Aufbau des Vorzeltes niemals rechtzeitig schaffen würden. Und damit habt ihr völlig richtig gelegen. Um fünf vor zwölf rief ich Martine an und kündigte ihr ca. 30 Minuten Verspätung an. Wer das Leben in Frankreich kennt und schon einmal erlebt hat, der weiß an dieser Stelle, dass Verspätungen hier ein ganz anderen Stellenwert haben, als in Deutschland. Verspätungen gehören hier zum alltäglichen Lebensablauf. Sie fallen hier noch nicht einmal auf. Ich weiß das zwar, aber in mir steckt dann halt immer noch diese typisch deutsche Beamtenpünktlichkeit.

Kurz nach 13:00 h waren wir bei Martine und Pierre. Die Hunde liessen wir im Auto. Wir mussten uns ja sputen, denn um 14:00 h war der erste Termin. Martine öffnete uns die Tür und neben ihr stand Denise, die Nachbarin, die offensichtlich auch gerade gehen wollte. Irgend etwas war heute anders mit Denise. Ich kenne sie seit ca. 35 Jahren und so lustig habe ich sie mich noch nicht begrüßen erlebt. So fröhlich wie sie uns begrüßt hatte, marschierte sie nun auch zur nächsten Eingangstür. Sie bewohnt nämlich Das Haus rechts neben unseren Freunden.

Der Grund für das seltsame Auftreten von Denise wurde uns dann am Tisch serviert. Dort saß nämlich Pierre, voll wie eine Haubitze. Vor eben mehr als 35 Jahren habe ich zu unseren ersten Austauschen den Jägermeister in Frankreich etabliert. Und eine bis auf den letzen Tropfen geleerte Flasche davon stand vor dem gläsern dreinblickenden Pierre auf dem Tisch. Die zwei hatten sich in der Zeit nach dem Frühstück bis zur unserer Ankunft eine ganze Pulle genehmigt. Als ich Pierre nun so sah und reden hörte (es waren mehr postnatale Sprechversuche) habe ich vor Denise meinen Hut gezogen. Im Vergleich hatte sie offensichtlich nach dieser Testreihe vom Vormittag deutlich die Nase vorn gehabt.

Wir aßen schnell. Martine rief zwischendurch den Makler an und kündigte eine geringe Verspätung an. Der wußte natürlich die französische Terminologie einer geringen Verspätung zu deuten und hatte sich sicher schon auf 15:00 h eingestellt. Da wir nach dem Essen auf dem Weg auch noch Marie-Annick und Bernard abholten war es auch tatsächlich fast 15:00 h geworden.

In Carentoir am Treffpunkt angekommen, die Treffpunkte waren fast immer rund um die Kirche eines Ortes, eilte uns dann recht zielstrebig ein Fahrzeug entgegen, auf dessen Türen die Reklame verriet, dass es sich um unseren Makler handeln müsse. Ich gab dem Makler mit Handzeichen zu verstehen, dass wir ihm folgen würden und er fuhr los.

Der Weg, den wir zurücklegen mussten, war maximal 2 km weit und damit natürlich auch nicht so weit aus dem Zentrum von Carentoir. Der Ort war mir nicht unbekannt, weil wir dort bei einem an einem See gelegenen Restaurant schon einmal eine Jumelage gefeiert hatten. Unser Motto damals: Karneval. Natürlich nicht ohne Jägermeister, der davor schon einmal eine erheiternde Rolle mit ernüchternden Folgen gespielt hatte.

Wir erreichten unser Ziel und stiegen aus. Der Makler, ein in blau betonter Kleidung mit brauner Cordjacke bekleideter Mann, vermutlich nicht größer als 1,70 cm, begrüßte mich per Handschlag und stellte sich vor. Dabei lächelte er und offenbarte mir sein stark renovierungsbedürftiges Gebiss. Oh Gott, dachte ich, war aber eigentlich wegen des Hauses und nicht wegen des Maklers dort.

Das Haus, um es vorweg zu nehmen, machte auf den ersten Blick von außen keinen so schlechten Eindruck. Die Aussicht den Kaufpreis senken zu können, machte ich an einigen Schönheitsfehlern fest. Aber schon nach den ersten Erklärungen des Maklers stand für mich fest, dass das auf keinen Fall unser neues Zuhause werden könne. Es gab Nachbarn, in unmittelbarer Nähe und deren Gebäude waren nicht sonderlich attraktiv. Es gab ein 16.000 qm großes Gelände hinter dem Haus, dass nicht einem einzigen Baum eine Heimat bot. Die Bäume gab es zwar rechts und links, würden dann aber nicht uns gehören.

Diese wenigen Fakten hatten das Objekt eigentlich schon disqualifiziert. Als wir dann hinein gingen, fanden wir dort ein mehr oder weniger interessantes Museum vor. So haben also die Menschen vor 80 Jahren in Frankreich gebaut und gelebt. Wir waren alle fünf der Meinung, dass man dieses Haus besser abreissen könne als nur einen Cent darin zu investieren. Wir hätten besser zu Tisch bleiben können. Vielleicht hätten wir ja noch eine Flasche Jägermeister gefunden. Zum Glück liegt Carentoir nur knapp 25 bis 30 km von Redon entfernt. Insofern hielt sich der Schaden an verschwendeter Zeit und verschwendetem Treibstoff in Grenzen.

Im Auto diskutierten wir die komplette Rückreise über das Haus, den Makler und seinen untauglichen Versuch uns das Haus durch eine Verringerung des Kaufpreises schmackhaft zu machen. Letztendlich lachten wir herzlich über die eine oder andere Beobachtung oder Situation der vergangenen Stunde.

Pierre saß bei unserer Rückkehr vor dem Fernseher. Er hatte einen Sportsender ausgewählt. Wir fragten uns … ob er dem überhaupt folgen könnte. Der Junge hielt aber durch und begleitete uns als Alleinunterhalter während des gesamten Abendessens. Wer das französische Savoir Vivre kennt, der weiß, dass sich so etwas über Stunden hinzieht und durch den jeweilig passenden Alkohol zu jedem Gang begleitet wird. Außer, dass wir an diesem Abend so viel gelacht haben wie seit Jahren nicht mehr, möchte ich eigentlich nun nicht mehr dazu sagen. Man muss die feste Feiern wie sie fallen.

Es war Samstag Abend. Unser erster Tag in Bains, unsere erste Besichtigung und unsere erste Enttäuschung.