Die nächste Phase

Wir ziehen nach Frankreich

Der Ischias und die Erinnerung an mittelalterliche Folter

Es plagte mich schon eine ganze Weile, schon Wochen vor unserem Projekt „Umzug“, dieser stechende Schmerz in meiner Pobacke, der sich über das linke Knie bis in den von tausenden Ameisen besiedelten Fuß zog. Das Bein nahezu paralysiert.

Morgens, beim Aufstehen, zeigt sich ein schreckliches Bild. Es erinnert an den Gang von Quasimodo. Allerdings trug er sein Leid mit Fassung, derweil ich bei jeder Bewegung stöhne. Ich nehme das nicht leicht hin und habe schon eine Reihe von Chiropraktikern aufgesucht. Einer versuchte es mit Wirbel einrenken und Massage, ein anderer mit dem Ausgleichen meiner Beinlänge und Einrenken. So war ich dann trotz meiner Schmerzen in den Umzug gegangen. Sammeln, sortieren, in Kartons verpacken und nach unten tragen. Jede Bewegung begleitet von einen „ahh“ und dem Gedanken: „da musst du nun durch“.

Nachdem nun hier alles wieder aus dem LKW abgeladen und im Hangar verstaut war, gab ich mir Mühe mit selbsterfundenen und abgeschauten Übungen Erleichterung zu verschaffen. Ich bin ja kein Freund von Medikamenten, denn wenn man den Schmerz nur unterdrückt geht er ja nicht automatisch weg. Und ich möchte ja gerne diesen Moment, den ich vor über 40 Jahren bei meinem Freund und Heilpraktiker Herman Kusters erlebt hatte, noch einmal erleben. Eine richtige Bewegung und schwupps ist der Schmerz weg.

Nun wurde es aber wieder so unerträglich, dass ich mir im Internet einen Chiroprakteur (der französische Bergiff für Chiropraktiker) in der Nähe von Bains sur Oust suchte und schnurstracks dorthin fuhr. Das war gestern. Das System ist hier aber ein klein wenig anders. Den Chiroprakteur fand ich gestern, zumindest sein Schild an der Tür, im „Maison de Santé“ (Haus der Gesundheit) ca. 8 km von unserem Camping entfernt. 9 Schilder an der Eingangstür, obwohl das Gebäude, eine alte Longère (quasi ein altes Reihengebäude, das ehemals ein Bauernhof samt Stallungen war) gar nicht so groß erschien. Mein vermeintlicher Helfer Helfer in meiner Not war allerdings dabei. Es gab aber keine Rezeption, lediglich ein Wartezimmer (salle d‘attente) und Behandlungsräume. 10 Minuten wartete ich dort, bevor ich unverrichteter Dinge wieder abzog und vom Auto aus in der Praxis anrief. Ich bekam Monsieur relativ schnell an den Apparat, schilderte mein Problem und bat um einen Termin.

Sehr überrascht nahm ich sein …. „morgen früh um 10:30“ entgegen. Auch sein …. er wäre wohl nicht da, dafür würde sich Laure (phonetisch: "Lohr") aber meiner annehmen. „Kann Sie mir denn auch helfen.“ wollte ich wissen? „Genau so gut wie ich, sie sei eine Expertin!“ entgegnete er. Ihr Name sei …. Laure Nivault und sie brächte mich wieder auf das Niveau meiner Gesundheit.

Und nun saß ich im Wartezimmer, fünf Minuten vor der Zeit (…sind des Beamten Pünktlichkeit) und stellte mir Laure vor. Groß, muskulös. Immerhin müsste sie ja in der Lage sein mich zu bewegen. Vermutlich eine durchtrainierte Bodybuilderin, vollbepackt mit Muskeln. Schwarze Haare, einen angedeuteten Männerbart.

Während ich so vor mich hin phantasierte und die Kontaktversuche eines Mitwartenden mit einem knappen „oui“ „non“ oder einer kurzen nichtssagenden Phrase quittierte, stand eine zierliche Frau im Türrahmen, die meinen Namen nun zumindest schon zum zweiten mal nannte und mich in die Realität zurückrief.

Ahh, die Sprechstundenhilfe. Ich folgte ihr in ein Behandlungszimmer. Hinten an der Wand ein Regal mit Büchern, medizinischen Modellen von Knochen und Wirbelsäule und Ähnliches, und Gerätschaften, die ich noch kennen lernen sollte. Davor ein aufgeräumter Schreibtisch. Schwarz, mit Computer, Tastatur und Drucker. Neben dem Drucker dieser Karten-Bezahlautomat für Kartenzahlung. Rechts neben dem Schreibtisch ein Behandlungstisch wie man ihn von jeder Massage kennt. Vor dem Schreibtisch ein Gästestuhl, ebenfalls schwarz, einfach aber ergonomisch. Auf dem nahm ich Platz. Hinter mir ein weiterer Behandlungstisch, der an ein Baukastensystem erinnerte, dass auch der Schreiner beim Bau von Pinocchio angewendet haben musste.

So, so, das war also nicht die Sprechstundenhilfe sondern Laure persönlich. Laure, maximal 35, tatsächlich fast schwarze lange Haare, die zu einem langen Pferdeschwanz gebunden waren, mit einem eher zierlichen aber für die Bretagne großen Körperbau, begann nun das übliche Prozedere.

Name, Vorname, Geburtsdatum usw. … Ich antworte brav. Sie erwähnt, dass Sie aus Tours (das "s" wird nicht gesprochen) käme. Ich kenne Tours. Eine sehr schöne Stadt an der Loire. Vielleicht ginge sie eines Tages zurück, obwohl es ihr hier in St. Perreux (bei Redon) sehr gut gefiele.

Wenn es mir nichts ausmachte, dann sollte ich mich auskleiden, das würde ihr die Behandlung erleichtern. Damit habe ich als alter FKK´ler ja bekanntlich kein Problem. Stellen Sie sich mal dort hin, drehen Sie sich mal um, lassen Sie mich mal fühlen. Tut das weh? Ich bin keine Heulsuse, aber bei manch einer Manipulation regierte ich schon etwas lauter.

Ihre erste Feststellung. Es ist alles total verspannt. „Treiben Sie Sport?“ Ich zähle auf und sie ist zufrieden. Weiter so. „Wann denn der Umzug vorüber sei?“ Wenn ich vorsichtig sei, dann könne ich mit entsprechender Behandlung danach mit Besserung rechnen. Mittlerweile liege ich nach Anweisung von Laure auf dem blauen Tisch, hebe ein Bein, lege es auf die andere Seite. Sie hängt über mir und drückt und zieht. Ich verziehe vor Schmerz mein Gesicht. Diesen Moment, wie damals bei Herman, den habe ich noch nicht erreicht. Sie drückt auf die Wirbelsäule, auf meine Hüfte. Alles schmerzt… macht aber nicht klick und vorbei.

Ich muss auf den Pinocchio Tisch wechseln. Achtung … so herum und bitte nicht dort anfassen und nicht drauflegen. Alles fühlt sich sehr gliedrig an. Der Tisch ist eine Zusammensetzung aus vielen einzelnen Modulen, die sich individuell bewegen lassen. Da liege ich also und verschiedenste Geräte finden ihre Anwendung. Etwas, dass einer Schusswaffe ähnelt, die man im Schlachthaus verwendet wird an die Kniekehle angesetzt und geschossen. Es tat nicht weh, hat aber auch nicht den gewünschten Effekt gebracht.

Dann wurde es aufregend, der Foltertisch kam zum Einsatz. Ganz freundlich und mich beruhigend sagte mir Laure, dass sie den Tisch hochpumpen werde und er sich plötzlich und unerwartet nach unten bewegen würde. Ach Gott, das hört sich an wie Kirmes. Und so geht es auch schon aufwärts und wenig später …. plumps … nach unten. Meine Gelenke wurden einzeln geschüttelt und nicht gerührt (würde James Bond feststellen). Der Knacks war aber immer noch nicht zu hören. Nun ging das Karussell einmal horizontal was bei mir allerdings noch mehr Schmerz auslöste. Laure merkte das und wechselte sofort die Strategie, machte auch sofort darauf aufmerksam, dass sich der Erfolg möglicherweise nicht am gleichen Tag einstellen würde. Diesen Satz hatte ich schon häufiger gehört und wusste nun, dass ich auch bei ihr nicht die erhoffte Besserung finden würde.

Tja, das Leben ist hart und da ich nicht unbedingt Fan von Sado / Maso bin, war ich am Ende froh, dass Laure mich mich wieder anziehen liess. Während ich mich wieder bekleidete, nahm sie schon hinter ihrem Opfertisch platz, klimperte ein wenig auf der Computertastatur herum und lächelte mich beim kontrollierenden Aufschauen lieb an. Die Freude war ganz auf ihrer Seite, denn sie hatte gerade die Rechnung für meine Behandlung geschrieben. Wenn ich nun völlig schmerzfrei gewesen wäre, in diesem Fall sogar im doppelten Sinne, dann hätte mich der zu zahlende Betrag nicht vom Hocker geworfen. Nicht schmerzbefreit hätte ich mich, wenn ich nicht schon gesessen hätte, nach Präsentation der Rechnung, auf jeden Fall setzen müssen. 45,00 € setzen sich in fetten schwarzen Lettern auf diesem DIN A 4 Blatt dominierend von den restlichen Buchstaben ab. Schluck. 45,00 € für gerade einmal knapp über 20 erfolglose Minuten in der sie den Rütteltisch und diese Schweine-Erschiess-Maschine für sich arbeiten lies. Dafür bekommt man sogar im horizontalen Gewerbe eine umfangreichere körperertüchtigende Dienstleistung.

Dieser Besuch hatte sich nicht gelohnt, denn das versprochene Niveau habe ich nicht erreicht.